Josef Fritzl: Kerkermeister muss lebenslang hinter Gitter - Josef Fritzl - FOCUS Online
Josef Fritzl
Kerkermeister muss lebenslang hinter Gitter
Josef Fritzl ist verurteilt – zu lebenslanger Haft wegen Mordes. Der Angeklagte nahm das Urteil an. Denn während des Prozesses machte er eine Wandlung durch. Fragen bleiben jedoch auch nach dem Urteil offen.
Von FOCUS-Online-Redakteurin
Nina Baumann, St. Pölten
Achtmal verlas die Sprecherin der Geschworenen am Donnerstag im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts St. Pölten die zwei Worte „Acht Ja“. „Acht Ja“ heißt, alle acht Geschworenen, also die Laienrichter, die über die Schuld von Josef Fritzl befanden, hatten einstimmig die acht von den Berufsrichtern vorgelegten Fragen bejaht. Hinter den langen, umständlich formulierten Fragen verbirgt sich die Übertragung des Straftatbestandes auf Fritzls Handeln. Stark vereinfacht lautete die wichtigste Frage so: „Hat Josef Fritzl im Frühjahr 1996 erkannt, dass der Säugling Michael in Lebensgefahr schwebte, hat ihm Hilfe verweigert und dessen Tod bewusst in Kauf genommen?“
Es war die erste der acht Fragen, und mit ihrem Ja entschieden die Geschworenen, dass Josef Fritzl des Mordes durch Unterlassen schuldig ist. Dies war die Grundlage dafür, dass Fritzl nun lebenslang ins Gefängnis muss. Alle anderen Vorwürfe hätten nicht die lebenslange Strafe zur Folge gehabt. Fritzls eingekerkerte Tochter Elisabeth hatte am 28. April 1996 Zwillinge geboren, von denen einer nur zweieinhalb Tage lebte. 66 Stunden Todeskampf hatte der Gutachter festgestellt, für jeden Laien erkennbar. In früheren Aussagen hatte Fritzl bestritten, überhaupt im Keller gewesen zu sein. Nachdem er am Dienstag mit Elisabeths Video-Aussagen und ihr selbst im Gerichtssaal konfrontiert gewesen war, hatte er sich am Mittwoch schuldig bekannt. Er habe jedoch gehofft, dass das Kind überlebe, sagte er.
Fritzl hört das Urteil ruhig an
Das nahm das Gericht ihm nicht ab. Und es verurteilte ihn auch wegen Sklaverei, weil er Elisabeth in eine sklavereiähnliche Lage gebracht habe. Dass das Gericht zudem alle Vorwürfe der Vergewaltigung, Freiheitsentziehung, Nötigung und Blutschande bejahte, war von Anfang an zu erwarten gewesen. Zu klar und unumstritten war die Sachlage: 24 Jahre Gefangenschaft von Elisabeth, dreitausendfache Vergewaltigung, Gefangenschaft auch für drei von sechs bei den Vergewaltigungen gezeugte Kinder.
Fritzl saß während der Verlesung ruhig auf seinem Stuhl in der Mitte des Verhandlungsraums und mit dem Rücken zum Publikum. Wenn er sich überhaupt regte, so schien er ein klein wenig tiefer in seinen Stuhl zu rutschen. Nach der Verlesung des Schuldspruchs der Geschworenen verkündete Richterin Andrea Humer das Strafmaß: Lebenslange Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. „Haben Sie das Urteil verstanden?“, fragte sie Fritzl „Ja“, sagte dieser und fügte noch etwas kaum Verständliches an. „Sie nehmen das Urteil an?“, übersetzte die Richterin. Fritzl bestätigte.
Verzicht auf Rechtsmittel
Humer wies Fritzl darauf hin, dass er drei Tage Zeit habe, um gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Durch Kopfschütteln machte Fritzl deutlich, dass er dies nicht wolle. „Ich würde Ihnen empfehlen, sich Zeit zu nehmen und sich noch einmal mit Ihrem Anwalt zu beraten“, insistierte Humer. Fritzl blickte kurz zu seinem Anwalt Rudolf Mayer, dann signalisierte er erneut: Nein, er wolle das Urteil annehmen. „Das Urteil ist hiermit rechtskräftig“, verkündete Humer. Fritzl nickte Mayer noch einmal zu und wurde dann aus dem Saal geführt. Sein Gesicht war ruhig und gefasst, es war keine Regung zu erkennen, und doch wirkte er nicht teilnahmslos.
Was ahnte Fritzls Frau?
„Offenbar empfindet er selbst diese Strafe als gerecht“, sagte Mayer nach dem Urteil. Schon
mit dem Geständnis habe sein Mandant gezeigt, dass er die Dimension seiner Taten eingesehen habe. Dieses Geständnis war am Schlusstag des Prozesses sehr umstritten. Staatsanwältin Christiane Burkheiser und Opferanwältin Eva Plaz hielten Fritzl vor, sein Bekenntnis sei nicht glaubwürdig und nur von Kalkül geprägt. Und doch ist es eindeutig, dass dieser Prozess den Angeklagten Josef Fritzl verändert hat. So entschlossen, wie er am ersten Prozesstag mit dem blauen Aktenordner vor den Journalisten verschanzte, so stur legte er nach der eindringlichen Anklage der Staatsanwältin nur ein mickriges Teilgeständnis ab.
Erklärbar, aber nicht entschuldbar
Eine erste Gefühlsregung zeigte er bei der Vernehmung zu seiner Person, als er bei der Antwort auf die Frage, warum er keine Freunde gehabt habe, mit den Tränen kämpfte. Auch am zweiten Prozesstag versteckte er sich hinter dem Aktenordner. Doch hinter den verschlossenen Türen konnte er sich dann nicht mehr verstecken: Vor den Aussagen Elisabeths auf insgesamt elf Stunden Videomaterial nicht, nicht vor seiner Tochter selbst, die überraschend in den Gerichtssaal kam, und nicht vor seiner Schuld. Anwalt Mayer berichtete, Fritzl sei an jenem Tag erschüttert gewesen, und fest steht: Fritzl ließ sich von dem Psychiater betreuen, den das Gefängnis zur Verfügung stellt.
Am Mittwoch bekannte Fritzl sich dann „der angelasteten Straftaten im Sinne der Anklage“ schuldig. Anschließend
erklärte die psychiatrische Gutachterin Adelheid Kastner die Person Fritzl: ein gequälter Mensch, der sich Genugtuung verschafft, indem er selbst quält – erklärbar, und zugleich mit nichts entschuldbar. „Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, die Welt nach seinen Wunschvorstellung zu sehen“, sagte Kastner. Davon hat ihm der Prozess offenbar etwas genommen. Fritzl räumte ein, dass seine Tochter es „so erlebt hat wie auf dem Video geschildert“.
Fritzl wehrte sich nun nicht gegen die lebenslange Strafe. Sein Lügengebäude ist mit dem Prozess endgültig zusammengebrochen. „Ich bereue es aus ganzem Herzen, was ich meiner Familie angetan habe. Ich kann es leider nimmermehr gut machen“, sagte Fritzl zum Abschluss des Prozesses. Gutachterin Kastner
sieht Fritzl sogar in Selbstmordgefahr. Auch nach dem Urteil wurde Fritzl wieder vom Anstaltspsychiater betreut – ein Teil der Selbstmordprävention, wie der stellvertretende Gefängnisleiter Erich Huber-Günsthofer sagte.
Offene Fragen nach dem Urteil
Der Kerkermeister ist damit verurteilt. Die Tatsache, dass seine Taten, vor allem das 24 Jahre währende Martyrium seiner Tochter, mit lebenslanger Haft gesühnt werden, dürfte dem Rechtsempfinden vieler Bürger entsprechen. Dass der Fall jedoch nur den Einzeltäter Fritzl zum Gegenstand hatte und keinerlei Hintergründe beleuchtete, hinterlässt ein unzufriedenstellendes Gefühl.
Nie ging es um die Frage, was Fritzls Frau hätte ahnen können, obwohl sich das Verbrechen buchstäblich unter ihren Füßen abspielte. Wie konnte eine Mutter das Verschwinden einer Tochter und das Auftauchen von drei Enkelkindern einfach hinnehmen? Wie konnten die Behörden das Verschwinden einer jungen Frau zu einer Sekte unaufgeklärt lassen? Warum wurde nicht gründlich nach dieser angeblichen Sekte gesucht, spätestens als auch noch Findelkinder von der Sektentochter auftauchten? „Es handelt sich um einen Einzeltäter“, hatte Richterin Humer gleich zu Beginn des Prozesses erklärt. Und ein Einzeltäter soll offenbar kein Umfeld haben.