Global Village
Türkische Frauen, die ihren Kindern Gutes tun möchten, fliegen zur Entbindung in die USA.
Nilüfer Adoran ist im neunten Monat schwanger und gelassen wie noch nie. Adoran ist Betriebswirtin, 31 Jahre alt, eine zierliche Frau mithellbraunen Haaren, sie kommt aus Istanbul, aber entbinden wird sie 9500 Kilometer von ihrer Heimat entfernt in einem amerikanischen Badeort.
Clearwater, Florida, im „Guinness-Buch der Rekorde“ erwähnt für die meisten Sonnentage in Folge (insgesamt 768), ist eine Stadt am Golf von Mexiko mit breiten Straßen und freundlichen Rentnern, langen Sandstränden und Yachthafen. Hier gibt es keinen Smog wie daheim in Istanbul.
Schon vor zwei Monaten flogen Nilüfer und ihr Mann Fuat, 39, ein Finanzmanager, in das amerikanische Urlaubsparadies. Das türkische Paar mietete sich ein Apartment am Meer, besorgte sich einen Platz im renommierten Morton Plant Hospital und einen Facharzt aus Puerto Rico. Alles sollte perfekt sein. Und als Krönung der Reise würde der kleine Alp, wie das Paar sein erstes Kind nennen will, mit seiner Geburt die USStaatsbürgerschaft erhalten – wie jedes Neugeborene auf amerikanischem Boden, die US-Verfassung kennt da keine Ausnahme.
„Das ist ein Geschenk für unseren Sohn und die Erfüllung unseres Traums“, schwärmt Nilüfer. „Denn wir wollen ihm neue Chancen eröffnen. Wir wollen, dass unser Kind in dieser konkurrenzorientierten Welt einen Schritt Vorsprung hat. Welche Eltern wollen das nicht?“
Zum Gebären nach Amerika fliegen – das ist Zukunftsvorsorge für den Fall, dass die Modernisierung daheim hinter den Erwartungen zurückbleibt, eine Art pränatale Versicherungspolice. Nicht nur während der Regierungszeit des Irak-Kriegers George W. Bush hatte es in der Türkei einen zornigen Antiame rikanismus gegeben, doch die bildungsorientierte Mittelschicht schaut noch immer voller Sehnsucht nach Amerika, wo es die besseren Schulen gibt und höhere Gehälter. Etwa 2500 türkische Frauen reisen jedes Jahr in die USA, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen.
Als amerikanische Staatsbürger genießen kleine wie große Türken viele Vorteile. Bei Kriegen und Naturkatastrophen in fernen Ländern werden sie von amerikanischen Soldaten ausgeflogen, sie können Dutzende Staaten ohne Visum bereisen und an einer staatlichen US-Hochschule Ausbildungskosten sparen, da sie weniger hohe Studiengebühren als Ausländer zahlen müssen.
Anders als in vielen Ländern Europas brauchen die Türken in den USA ihre türkische Staatsangehörigkeit nicht aufzugeben, sie dürfen beide behalten. Seinen Militärdienst müsste der kleine Alp allerdings in der Türkei absolvieren, nur falls er die Staatsbürgerschaft seiner Eltern ablegt, dürfte er bei den US-Streitkräften kämpfen.
Zahlreiche Agenturen haben sich mittlerweile auf die Entbindungsreisen in die USA spezialisiert, sie inserieren im Internet, manche bieten sogar türkischsprachige Ärzte und Hebammen an. www.amerikada-dogum.com, Geburt in Amerika, ist eine davon. Murat Özgürtaş, 40, ein Tourismusunternehmer aus Izmir, gründete die Firma Anfang des Jahres mit zwei Partnern. Unternehmenssitz ist ein kleines Büro im Foyer eines Luxushotels in Izmir, auf einem Glastisch liegen Broschüren mit rotbackigen Säuglingen und lachenden Eltern aus.
„Schauspieler und Künstler waren die Ersten, die vor 20 Jahren mit dem Tabu brachen, Kinder im Ausland zur Welt zu bringen, das galt damals noch als Macke der Oberschicht“, erzählt er. Heute sei der Gebärtourismus für die, die es sich leisten können, eine ganz normale Sache.
Umgerechnet zwischen 20 000 und 50 000 Dollar berechnet Özgürtaş für seine Dienste: Der Service umfasst Flüge, Unterkunft und Krankenhausaufenthalt, nach Wahl in sieben verschiedenen US Bundesstaaten. Von seinen Kundinnen sei noch nie eine bei der Landung in den
USA abgewiesen worden.
Die amerikanischen Einwanderungsbehörden prüfen allerdings, ob alle medizinischen Kosten, die bei einer Geburt anfallen, durch Versicherungen oder Vermögen gedeckt sind. Zudem verweigern viele Airlines Schwangeren Flüge ab dem siebten Monat. „Die amerikanische Staatsbürgerschaft bieten wir aber nicht an und auch keine entsprechende Beratung, wir arbeiten als Reisebüro“, sagt Özgürtaş.
Der Hinweis ist ihm wichtig, auf einer Internetseite schmähten Nationalisten seine Firma als Verräter. „Wenn das so weitergeht, wird es bald keine türkischen Staatsbürger mehr geben“, beschwerte sich ein Anrufer. Die Angst vor den gleichmacherischen Folgen der Globalisierung und dem
Verlust der nationalen Identität ist verbreitet in der Türkei. Dabei lebt schon heute einer von 15 Türken im Ausland. Das ist auch der Grund für das liberale Staatsbürgerschaftsrecht der Türkei, das einen Doppelpass zulässt.
Nilüfer und Fuat Adoran haben kein Problem mit der Identität ihres Sohnes. Der noch ungeborene Alp soll zuallererst türkischer Staatsbürger sein: „Ein waschechter Türke“, sagt Nilüfer, aber auch ein weltoffener Muslim, geboren unter Christen, eine Kindheit in Istanbul, weitere Lebensorte ungewiss, alles ist möglich. „Unser Sohn soll ein Weltbürger werden“, sagt Nilüfer.
Für die Zeit nach der Geburt haben die Eltern eine Party für ihre amerikanischen Nachbarn geplant, mit türkischem Essen und türkischen Sitten. Es wird „Wochenbettsüßigkeiten“ geben, bunte Päckchen mit glasierten Mandeln und Schokolade. Und zumindest bei der für männliche Muslime vorgeschriebenen Beschneidung gleichen sich die Bräuche der Heimat mit denen in der Ferne: Die Operation ist auch in Floridas Krankenhäusern eine
Routineprozedur.
Quelle: Spiegel 16/2010
Türkische Frauen, die ihren Kindern Gutes tun möchten, fliegen zur Entbindung in die USA.
Nilüfer Adoran ist im neunten Monat schwanger und gelassen wie noch nie. Adoran ist Betriebswirtin, 31 Jahre alt, eine zierliche Frau mithellbraunen Haaren, sie kommt aus Istanbul, aber entbinden wird sie 9500 Kilometer von ihrer Heimat entfernt in einem amerikanischen Badeort.
Clearwater, Florida, im „Guinness-Buch der Rekorde“ erwähnt für die meisten Sonnentage in Folge (insgesamt 768), ist eine Stadt am Golf von Mexiko mit breiten Straßen und freundlichen Rentnern, langen Sandstränden und Yachthafen. Hier gibt es keinen Smog wie daheim in Istanbul.
Schon vor zwei Monaten flogen Nilüfer und ihr Mann Fuat, 39, ein Finanzmanager, in das amerikanische Urlaubsparadies. Das türkische Paar mietete sich ein Apartment am Meer, besorgte sich einen Platz im renommierten Morton Plant Hospital und einen Facharzt aus Puerto Rico. Alles sollte perfekt sein. Und als Krönung der Reise würde der kleine Alp, wie das Paar sein erstes Kind nennen will, mit seiner Geburt die USStaatsbürgerschaft erhalten – wie jedes Neugeborene auf amerikanischem Boden, die US-Verfassung kennt da keine Ausnahme.
„Das ist ein Geschenk für unseren Sohn und die Erfüllung unseres Traums“, schwärmt Nilüfer. „Denn wir wollen ihm neue Chancen eröffnen. Wir wollen, dass unser Kind in dieser konkurrenzorientierten Welt einen Schritt Vorsprung hat. Welche Eltern wollen das nicht?“
Zum Gebären nach Amerika fliegen – das ist Zukunftsvorsorge für den Fall, dass die Modernisierung daheim hinter den Erwartungen zurückbleibt, eine Art pränatale Versicherungspolice. Nicht nur während der Regierungszeit des Irak-Kriegers George W. Bush hatte es in der Türkei einen zornigen Antiame rikanismus gegeben, doch die bildungsorientierte Mittelschicht schaut noch immer voller Sehnsucht nach Amerika, wo es die besseren Schulen gibt und höhere Gehälter. Etwa 2500 türkische Frauen reisen jedes Jahr in die USA, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen.
Als amerikanische Staatsbürger genießen kleine wie große Türken viele Vorteile. Bei Kriegen und Naturkatastrophen in fernen Ländern werden sie von amerikanischen Soldaten ausgeflogen, sie können Dutzende Staaten ohne Visum bereisen und an einer staatlichen US-Hochschule Ausbildungskosten sparen, da sie weniger hohe Studiengebühren als Ausländer zahlen müssen.
Anders als in vielen Ländern Europas brauchen die Türken in den USA ihre türkische Staatsangehörigkeit nicht aufzugeben, sie dürfen beide behalten. Seinen Militärdienst müsste der kleine Alp allerdings in der Türkei absolvieren, nur falls er die Staatsbürgerschaft seiner Eltern ablegt, dürfte er bei den US-Streitkräften kämpfen.
Zahlreiche Agenturen haben sich mittlerweile auf die Entbindungsreisen in die USA spezialisiert, sie inserieren im Internet, manche bieten sogar türkischsprachige Ärzte und Hebammen an. www.amerikada-dogum.com, Geburt in Amerika, ist eine davon. Murat Özgürtaş, 40, ein Tourismusunternehmer aus Izmir, gründete die Firma Anfang des Jahres mit zwei Partnern. Unternehmenssitz ist ein kleines Büro im Foyer eines Luxushotels in Izmir, auf einem Glastisch liegen Broschüren mit rotbackigen Säuglingen und lachenden Eltern aus.
„Schauspieler und Künstler waren die Ersten, die vor 20 Jahren mit dem Tabu brachen, Kinder im Ausland zur Welt zu bringen, das galt damals noch als Macke der Oberschicht“, erzählt er. Heute sei der Gebärtourismus für die, die es sich leisten können, eine ganz normale Sache.
Umgerechnet zwischen 20 000 und 50 000 Dollar berechnet Özgürtaş für seine Dienste: Der Service umfasst Flüge, Unterkunft und Krankenhausaufenthalt, nach Wahl in sieben verschiedenen US Bundesstaaten. Von seinen Kundinnen sei noch nie eine bei der Landung in den
USA abgewiesen worden.
Die amerikanischen Einwanderungsbehörden prüfen allerdings, ob alle medizinischen Kosten, die bei einer Geburt anfallen, durch Versicherungen oder Vermögen gedeckt sind. Zudem verweigern viele Airlines Schwangeren Flüge ab dem siebten Monat. „Die amerikanische Staatsbürgerschaft bieten wir aber nicht an und auch keine entsprechende Beratung, wir arbeiten als Reisebüro“, sagt Özgürtaş.
Der Hinweis ist ihm wichtig, auf einer Internetseite schmähten Nationalisten seine Firma als Verräter. „Wenn das so weitergeht, wird es bald keine türkischen Staatsbürger mehr geben“, beschwerte sich ein Anrufer. Die Angst vor den gleichmacherischen Folgen der Globalisierung und dem
Verlust der nationalen Identität ist verbreitet in der Türkei. Dabei lebt schon heute einer von 15 Türken im Ausland. Das ist auch der Grund für das liberale Staatsbürgerschaftsrecht der Türkei, das einen Doppelpass zulässt.
Nilüfer und Fuat Adoran haben kein Problem mit der Identität ihres Sohnes. Der noch ungeborene Alp soll zuallererst türkischer Staatsbürger sein: „Ein waschechter Türke“, sagt Nilüfer, aber auch ein weltoffener Muslim, geboren unter Christen, eine Kindheit in Istanbul, weitere Lebensorte ungewiss, alles ist möglich. „Unser Sohn soll ein Weltbürger werden“, sagt Nilüfer.
Für die Zeit nach der Geburt haben die Eltern eine Party für ihre amerikanischen Nachbarn geplant, mit türkischem Essen und türkischen Sitten. Es wird „Wochenbettsüßigkeiten“ geben, bunte Päckchen mit glasierten Mandeln und Schokolade. Und zumindest bei der für männliche Muslime vorgeschriebenen Beschneidung gleichen sich die Bräuche der Heimat mit denen in der Ferne: Die Operation ist auch in Floridas Krankenhäusern eine
Routineprozedur.
Quelle: Spiegel 16/2010