Krise treibt Auswanderer zurück nach Deutschland

Ulrich

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Krise treibt Auswanderer zurück nach Deutschland
Vor Jahren sind sie hoffnungsfroh nach Südeuropa oder Kanada ausgewandert. Mit der Wirtschaftskrise kehren viele Deutsche in die alte Heimat zurück – weil sie arbeitslos sind oder aus Heimweh. Von Stefan von Borstel


Eigentlich wollte Stephanie Bartels nur drei Wochen Urlaub auf Korfu machen. Es wurden zwölf Jahre daraus. "Ich bekam ein tolles Angebot, ich sollte die Villa einer österreichischen Familie hüten und mich um die Straßenhunde kümmern", erinnert sich die überzeugte Tierschützerin. Damals war sie 25.

"Das kam ganz plötzlich, ich hatte eigentlich einen guten Job in Hamburg." Nach dem Jahr als Haus-Sitterin blieb sie auf der sonnigen Urlaubsinsel. Im Sommer vermietete sie Autos und Motorräder an Touristen, im Winter engagierte sie sich für die Tiere. Sie lernte Griechisch, vor zwei Jahren hat sie ihren Mann Kourosh geheiratet.

In diesem Jahr ist die 37-jährige Auswanderin nach Deutschland zurückgekehrt. "Die Situation in Griechenland wurde immer schlimmer", erzählt sie. Das Land steckt in der Krise. "Viele sind arbeitslos. Wer noch einen Job hat, weiß nicht, wie lange noch und ob ihn der Chef in diesem Monat überhaupt bezahlen kann."

Alles sei teurer geworden: Benzin, Lebensmittel, Strom. "Am Anfang hatte mein Chef 15 Filialen, zum Schluss nur noch fünf", schildert Bartels. Die Touristen blieben aus. "Dann wurde ich auch noch schwanger. Da habe ich gesagt: Jetzt müssen wir weg."


Anfragen steigen um mehr als 50 Prozent

Mehr als 100.000 Deutsche sagen jedes Jahr "Goodbye Deutschland" und suchen ihr Glück im Ausland. Nicht immer glückt die Auswanderung. Seit Ausbruch der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise kehren jedoch immer mehr deutsche Auswanderer zurück. Im ersten Halbjahr 2012 waren es mehr als 50.000.

Die Anfragen rückkehrwilliger Auswanderer stiegen um mehr als 50 Prozent, berichtet das Raphaels-Werk. Der Fachverband des Deutschen Caritasverbandes berät seit 1871 Menschen auf ihrem Weg in die neue Heimat und unterhält derzeit 14 Beratungsstellen in Deutschland.

"Monat für Monat werden es mehr Anfragen", erklärt Birgit Klaissle, die Generalsekretärin des Raphaels-Werks. Rückwanderer werden mittlerweile häufiger beraten als Auswanderer.

"Der Tourismus nimmt aufgrund der Finanzkrise in vielen Regionen ab", sagt Klaissle, "Dadurch bricht häufig die finanzielle Lebensgrundlage derer weg, die sich im Tourismussektor selbstständig gemacht haben oder in diesem Sektor beschäftigt sind." An der Spitze liegen Anfragen aus Spanien, nach den USA und Kanada das beliebteste Wunschzielland deutscher Auswanderer.


"Endlich wieder ein bodenständiges Leben"

Kanada war auch das Traumland der Zimmermanns. Vor drei Jahren sind die Zimmermanns nach Kanada ausgewandert, damals waren sie 49 und 54 Jahre alt und die Kinder aus dem Haus. Sie haben ihre guten Jobs aufgegeben und ihren Hausstand aufgelöst. Jetzt wollen sie zurück. Der Rückflug in die alte Heimat ist bereits gebucht. Heiligabend fliegen sie zurück, von Toronto über Philadelphia nach München. "Wenn kein Schneesturm dazwischenkommt", sagt Kerstin Zimmermann.

Zunächst kommen sie bei Freunden in der Oberpfalz unter, für den Anfang müssen sie Hartz IV beantragen. "Wir haben ja nichts mehr in Deutschland, und wir fangen komplett neu an", sagt Frau Zimmermann. Helmut Zimmermann will wieder als Lkw-Fahrer arbeiten, seine Frau ist Wirtschaftskauffrau und arbeitet in Kanada als Operator für CNC-Drehmaschinen.

"Wir bereuen unsere Auswanderung nicht", sagen die Zimmermanns. Und als Gescheiterte sehen sie sich auch nicht, allerdings war es doch, sagt Kerstin Zimmermann, "ein holpriger Weg". Die Zimmermanns haben in drei Jahren drei Provinzen kennengelernt: Saskatchewan, Alberta und Ontario. Und Gegenden mit grandioser Natur, Wäldern und glasklaren Seen in den Rocky Mountains, freundlichen und weltoffenen Kanadiern. Doch das reicht nicht. "Die Autoindustrie in Kanada ist sehr abhängig von den USA", erzählt Frau Zimmermann. Oft blieben Aufträge aus oder auch nur Zulieferungen, dann würden Arbeiter entlassen – ohne Kündigungsschutz.

Von einem ständigen "Auf und Ab" im Berufsleben berichtet die Einwanderin. Mit der lockeren Arbeitsweise der Kanadier kommen sie nur schwer zurecht. "Manchmal glaube ich, wir Deutschen sind zu pünktlich, zu genau und zu präzise", sagt Kerstin Zimmermann. Gesundheitliche Probleme kommen hinzu, auf einen Facharzt muss man in Kanada monatelang warten. Und dann das Heimweh, nach den Kindern in Deutschland, den Eltern, den alten Freunden. "Wir möchten endlich wieder ein bodenständiges und normales Leben", sagen die Zimmermanns.


Oft reicht das Geld nicht einmal mehr für die Rückreise

Als Grund für den Rückkehrwunsch werden an erster Stelle persönliche oder familiäre Gründe angegeben, berichtet das Raphaels-Werk: die Trennung vom Partner, eine Erkrankung, die Pflegebedürftigkeit der Eltern oder schlicht Heimweh. Auf Platz zwei folgt bereits drohende oder tatsächliche Arbeitslosigkeit. Eng zusammen damit hängen finanzielle Gründe für eine Rückkehr nach Deutschland. 37 Prozent der rückkehrwilligen Deutschen waren laut Jahresbericht des Raphaels-Werks 2011 arbeitslos, häufig bedeute dies auch mittellos.

"Viele bleiben zu lange im Ausland und strampeln sich dort mit Gelegenheitsjobs ab", erklärt Klaissle. "In Deutschland stehen sie dann mit zwei Plastiktüten vor unserer Tür." Vielfach werde beim Raphaels-Werk um finanzielle Unterstützung angefragt, da die letzten Reserven aufgebraucht sind. Oft reiche das Geld nicht einmal mehr für die Rückreise. Wichtig sei, bereits bei der Auswanderung eine mögliche Rückwanderung mitzudenken, um die Zeichen einer heranziehenden existenziellen Notlage frühzeitig zu erkennen und somit eine geplante organisierte Rückkehr zu ermöglichen, empfiehlt Klaissle.


"Selbst die Griechen versuchen es woanders"

Die aktuelle Entwicklung hat auch die Bundesregierung alarmiert. Sie will das Auswandererschutzgesetz novellieren und für eine qualifizierte Beratung der Auswanderer sorgen. Die Beratungsstellen in Deutschland würden zunehmend von Familien und Einzelpersonen angefragt, die im Ausland gescheitert sind und nunmehr Hilfe bei der Rückkehr nach Deutschland benötigten, heißt es in der Begründung des Gesetzestextes. Nach der Rückkehr bezögen diese Personen meist auf längere Zeit Sozialhilfe.

Die Ministerialbeamten haben sich dabei auch von Dokusoaps im Fernsehen inspirieren lassen: "In einschlägigen Fernsehshows wird gezeigt, welche Folgen eine Auswanderung ohne eine angemessene Beratung für die Betroffenen haben kann", heißt es in der Gesetzesbegründung weiter.

Auf staatliche Hilfe sind auch Stephanie Bartels und ihre Familie angewiesen. "Es ist schon ein komisches Gefühl, vom Staat abhängig zu sein", sagt die junge Mutter. Aber es sei auch "ein wahnsinniges Glück, wie man hier aufgefangen wird". "Wir hatten ein schönes Haus und schöne Möbel, wir mussten alles dalassen. Wir haben vieles verkauft und den Rest verschenkt."

Die Familie ist in ein Dorf nach Schleswig-Holstein gezogen und muss jetzt ganz von vorn anfangen. "Mein Mann macht einen Deutschkurs und kann danach dann endlich arbeiten. Wir vermissen Korfu ohne Ende, aber dank Facebook und Skype sind wir immer noch mit unseren Freunden verbunden. Ich kenne kaum noch Ausländer, die dageblieben sind. Selbst die Griechen versuchen es woanders."

Quelle: DIE WELT
 

ollie

Well-Known Member
Ehe-GC
Die Kanadier sind ein weiteres Beispiel, dass manche sich eben verkalkulieren. Mit der "Krise" hat das nicht unbedingt was zu tun. Immerhin sind sie mittendrin ruebergekommen (genau wie ich) und die Ersparnisse haben 3 Jahre gelangt, mit oder ohne Jobs. Was glauben die wie das erst gelaufen waere, wenn Obama die Autoindustrie nicht gerettet haette. Und manche der Kommentare versteh ich eh nicht. Was hat deren Erfolg damit zu tun, dass die Kanadier eine "lockere Arbeitsweise" haben (sind die nicht die "besseren" Amerikaner?), und was meinen die mit bodenstaendig in diesem Zusammenhang. Das Geld war alle, Heimweh, Versuch gescheitert oder wie man es nennen will. Mit oder ohne Krise.
 
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