Es wird einmal in Amerika - Ansichten über New York (die letzten Artikel der FTD)

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Hallo zusammen

Leider geht es mit der FTD zu Ende; heute, am Freitag 7. Dezember 2012, war die letzte Ausgabe und die beiden US Korrespondenten der FTD reflektieren ihre Zeit in den USA bzw. in New York. Insbesondere den Artikel von Matthias Ruch finde ich sehr lesenswert und stimmt auch etwas nachdenklich. Ich mache ein Full Quote der Artikel, damit sie uns auch erhalten bleiben wenn die Website der FTD abgestellt wird.


Cheers, :winke
der Admin


Vier Jahre lang war Matthias Ruch unser Mann in New York. Im Niedergang seiner Wohnung spiegelt sich der Niedergang der USA.

Diese Metapher steht wie keine andere für mein Amerika, für die Mentalität und für all die ungelösten Konflikte und Probleme. Sie ist simpel und schön - und jeder in diesem Land weiß genau, was sie bedeutet: "Kicking the can down the road."
Die alte Cola-Dose, die zerbeult auf der Straße liegt. Jeder sieht sie, niemand hebt sie auf. Und wenn sie eines Tages vor der eigenen Tür landet, wird sie einfach weiter die Straße runter getreten, bis vor das nächste Haus. So funktioniert das Land, in dem ich seit 2008 lebe. Jedenfalls so lange, bis der nächste Sturm kommt.

Die Vereinigten Staaten leben von der Substanz und zehren auf, was geblieben ist aus den guten alten Zeiten. Alte Häuser, alte Brücken, alte Kraftwerke. Alles amerikanische Wertarbeit, die hatte früher mal einen guten Ruf. Das neue Amerika ist anders. Es denkt kurzfristig, denn Investitionen sind nur gut, sofern sie sich sofort rentieren. Maximaler Profit in minimaler Zeit, am besten auf Kosten der anderen. Nach uns die Sintflut.

Wer mein Amerika sehen will, muss nach Brooklyn fahren, in die Henry Street Nummer 252. Ein wunderschönes Haus von 1850. Hohe Decken mit Stuck, echte Dielenböden und ein offener Kamin. Wir haben diese Wohnung geliebt, bis es einfach nicht mehr ging. Dabei ist die Henry Street in Brooklyn Heights eine dieser Straßen mit soliden Backsteinhäusern, die tatsächlich gebaut wurden für die Ewigkeit. Einige werden bis heute gehegt und gepflegt. Nummer 252 gehört leider nicht dazu.

Schuld daran ist die Eigentümerin, die gern kassiert, aber nur sehr ungern investiert oder gar repariert. Nach dem Kabelbrand in meinem Arbeitszimmer riet sie mir, meinen Computer einfach im Schlafzimmer anzuschließen. Dort würde die Steckdose ja noch funktionieren. Und als ein Wasserrohr in der Decke brach, kam ab und zu der Hausmeister vorbei, um die Wasserflecken überzupinseln. Wenig später brach die Küchendecke herunter.

Die Miete wurde trotzdem erhöht, Jahr für Jahr. Soll sich doch der nächste Eigentümer um die Kabel und die Rohre kümmern. Und bis dahin? "Kicking the can down the road."

Eines Tages wird Henry Street 252 einfach abbrennen. Oder einstürzen. So wie die großen Banken an der Wall Street im Jahr 2008. Und was kommt dann? Dann wird einfach ein neues Haus gebaut, möglichst billig und möglichst schnell. So eine Investition muss sich schließlich rentieren.

Nach vier Jahren Amerika bin ich gerade zurück in Hamburg - und vermisse New York. Wenn ich das nächste Mal nach Brooklyn komme, werde ich feierlich einen Kranz niederlegen vor Henry Street 252. Und eine zerbeulte Dose Cola.
Quelle: Aus der FTD vom 07.12.2012 - © 2012 Financial Times Deutschland - FTD-Autor Matthias Ruch


Vor sechs Wochen ging Kathrin Werner als FTD-Korrespondentin nach New York. Jetzt hat sie keine Zeitung mehr. Aber viele Geschichten im Kopf

Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich zwischen Umzugskartons, die ausgepackt werden wollen. Mein Fernseher ist noch nicht angeschlossen, im Schlafzimmer gibt es kein Licht, der Kühlschrank ist leer. Sechs Wochen vor ihrem Ende hat mich die FTD zur Korrespondentin in New York gekürt. Am Montag bin ich in die FTD-Wohnung in Brooklyn gezogen.

Die ersten Wochen hier waren wie ein Rausch. Ich bin durch goldenes Laub im Central Park spaziert und in gelben Taxis gefahren. Ich habe Barack Obama getroffen und in der Wahlnacht mit schwarzen Intellektuellen in Harlem diskutiert. Ich habe den Bullen an der Wall Street gestreichelt und nachts auf einem Empfang im Museum of Modern Art einen Manhattan getrunken. Beim Hurrikan "Sandy" sind mir Mülltonnen um die Ohren geflogen. Ich war in einem der feinsten Country-Clubs des Landes, habe VW-Chef Martin Winterkorn und GE-Chef Jeff Immelt getroffen.

Ich habe Leute in Taxis kennengelernt und in Warteschlangen. Ich habe Lang Lang Klavier spielen hören und mein Trommelfell auf einem Punkkonzert strapaziert. New York ist immer in Bewegung, ich war es auch. Ich habe viel geschrieben, viel gelesen, viel gefragt und viel gelernt. Es war mein Traumjob in meiner Traumstadt.
Die Nachricht, dass mir mein Traumjob wieder abhandenkommen würde, bevor er so richtig begonnen hat, kam morgens um 6.30 Uhr auf meinen Blackberry. Mit einem Schlag war mein Rausch vorbei. Die unterschiedlichen Reaktionen meiner deutschen und meiner amerikanischen Freunde sagen viel über die Kulturen der Länder: Die Deutschen bemitleiden mich und trauern mit mir. Die Amerikaner sagen: "Hey, da kommt schon was Neues, don't worry!"

In dieser Stadt, in diesem Land, ist vieles im Argen. Die Armen sind zu arm, die Reichen zu reich. Die Infrastruktur ist eine Katastrophe, die Bürokratie gigantisch: Immer neue Formulare fehlen, ich habe mich mit Bankkonten, Handyverträgen und Social-Security-Nummern herumgeschlagen. Aber vom amerikanischen Optimismus, von der Stehaufmännchen-Kultur, können wir Deutschen noch viel lernen. Ich habe schon gelernt und mich für die amerikanische Sichtweise auf das Ende meines Traumjobs entschieden.

Ich bin traurig, aber voller Tatendrang. In dieser großartigen Stadt, in diesem Land mit riesigen Herausforderungen und riesigen Chancen, gibt es so viele Geschichten zu erzählen. Und ich werde sie aufschreiben. Meine Liste mit Themenideen ist lang. Vom Balkon meiner neuen Wohnung voller Umzugskartons kann man die Skyline Manhattans sehen. Es ist der perfekte Ort für einen Neuanfang.
Quelle: Aus der FTD vom 07.12.2012 - © 2012 Financial Times Deutschland - FTD-Autorin Kathrin Werner
 
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